Text und Gestaltung: Antonia Saske
Titelbild: Albert Hilscher, Brunnenmarkt (1949), Print
Woran erkenne ich, dass sich ein Markt wandelt? Wo werden kleine oder auch große Veränderungen sichtbar?
Diese Fragen begleiten mich im Dezember 2020 auf einem Spaziergang über den Wiener Brunnenmarkt. Antworten lassen sich in vielerlei Hinsicht finden: in Form diverser Produkte, den sich wandelnden Marktständen, der Sprachenvielfalt am Brunnenmarkt, in den Kaufgewohnheiten der Besucher*innen oder auch in kleineren Momenten wie der Wetterlage oder dem Schichtwechsel an einem Marktstand.
Während meines Spaziergangs fallen mir Tierfiguren auf, die häufig die Theken der Marktstände schmücken und unter die sich auch ein beleuchtetes Rentier mischt. Einmal blinken mehrere Lichterketten, die an einem Stand zum Verkauf stehen, vor sich hin. Solche weihnachtlichen Dekorationen und Werbeaktionen sind aber eher eine Ausnahme. Sie wirken dann rar, wenn man (wie ich diesen Dezember) das Bild eines spürbar weihnachtlich kultivierten SPARs vor Augen hat.
Die regulären Hinweise zu Corona-bedingten Verhaltensänderungen im öffentlichen Raum fügen sich am Brunnenmarkt schlüssig ins Gesamtbild. Sowohl offizielle, behördliche Aufforderungen zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes als auch handgeschriebene Hinweise der Marktständler, dass vor Ständen nicht zu Verweilen sei, wirken omnipräsent.
Ich bin von dem regen Besucher*innenaufkommen zur Mittagszeit an einem verregneten Wintertag überrascht. Eventuell ist das Begängnis durch die nahende Weihnachtszeit oder auch durch die Auflockerung der Lockdown-Maßnahmen, die diese Woche erfolgte, bedingt. Vielleicht ist das Normalbetrieb; mir fehlt als irreguläre Marktbesucherin der Vergleichswert. Ich denke, die Wahrnehmung des Markts wandelt sich allein dadurch, wie vertraut man als Besucherin mit den Ständen, Produkten und der Handelsstruktur ist.

Um meine eigene, zeitliche Wissenslücke zu füllen, schiebe ich nun zwei kurze Interviewpassagen ein, die Kolleg*innen von mir dieses Projekt eingeholt haben. Das Verständnis für den Brunnenmarkt zweier Bewohnerinnen zeigt, wie das Verstreichen von Zeit sich im Wandel von Produkten, Kaufgewohnheiten oder Marktabläufen niederschlägt. Eine ansässige Studentin, die seit März 2020 in diesem Teil von Wien lebt, erzählt folgende Anekdote:
„Ich hab schon auch oft das Gefühl, dass die Leute mich wiedererkennen, also vor allem am Olivenstand, weil ich da einfach so oft bin. […] Einmal fand ich das ganz cool, da hat mir einer so hinterhergeschrien, nachdem ich was gekauft hab, und hat so gemeint: Hey, Schwester, isst du scharf? (lacht) und hat mir dann irgendwie noch so Chilischoten eingepackt.“
Sowohl Kaufgewohnheiten als auch eine wachsende Familiarität gegenüber der Wahrnehmung des Marktes bauen sich einfach organisch aus. Eine zweite, studentische Anrainerin, die seit mehreren Jahren den Brunnenmarkt besucht, schildert:
„Persönlich finde ich es super, dass zunehmend auch Essen aus Afghanistan oder Syrien angeboten wird, was kulinarisch eine ziemliche Bereicherung ist.“
Diese Bewohnerin ordnet die Entwicklungen aufgrund ihrer regelmäßigen, langandauernden Auseinandersetzung mit dem Markt ein. Sie beobachtet ebenfalls eine Veränderung der verschiedenen Besucher*innen des Markts. Die anschließende Aussage könnte man in Hinblick auf die Wirkung von Gentrifizierung auf den Brunnenmarkt hinterfragen. Der Handelsraum unterliegt als Teil einer Großstadt ebenfalls Prozessen, die Stadtteile umstrukturieren oder die Anwohnerschaft verändern. Ein Wandel der letzten Jahre lässt die Besucherschaft der Studentin zufolge nun so aussehen:
„sehr durchmischt, schon viele Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch zunehmend junge Menschen, klassischerweise Studis – wie ich“
Der Markt verändert sich stetig – sowohl in klar sichtbaren Merkmalen als auch in Form eines größeren Wandels. Einerseits tragen Besucher*innen, wenn es wie zu meinem Ausflug regnet, Schirme bei sich und genauso werden einige Stände im Dezember durch weihnachtliche Elemente ergänzt. Andererseits zeigt sich auch ein einschleichender, weniger offensichtlicher Wandel. Das verdeutlicht beispielsweise die Präsenz von COVID-19 und daraus folgende, andauernde Änderungen im Verhalten und der Bewegungsfreiheit von Besucher*innen. Genauso vielsagende Veränderungen stammen aus dem Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen am Markt – Produkte und Käuferschaft befinden sich in einem nie endenden Zustand der Veränderung.