
Die Initiative Minderheiten zeigt in der Wiener Hauptbücherei am Gürtel die Ausstellung „Nach der Flucht“, die sich mit Fluchtbewegungen im Zuge des kriegerischen Zerfalls Jugoslawiens beschäftigt. Die Ausstellung wird in der Zeit von 15. September bis 14. November 2020 gezeigt.
Im Mittelpunkt der Ausstellung, welche von Vida Bakondy und Amila Širbegović kuratiert wird, stehen die Geschichten und Erfahrungen von 14 Wienerinnen und Wiener, die zu Beginn der 1990er Jahre aus dem ehemaligen Jugoslawien flüchten mussten und in Wien ein neues Zuhause fanden. 25 Jahre nach dem Kriegsende in Bosnien-Herzegowina möchte die Ausstellung anhand persönlicher Erinnerungsstücke den Biografien der 14 Personen nachspüren und deren Anfänge in Wien schildern. Die gezeigten Objekte schlagen eine Brücke zwischen ihrem Leben vor der Flucht und danach. Sie sollen Einblicke in individuelle Erfahrungen von Krieg, Flucht und Neubeginn vermitteln. Zum Vorschein kommen unterschiedliche Arten von Verlust, die mit dem Flüchtlingsdasein einhergehen, wie zB Verlust von geliebten Menschen, von Zuhause, von Zugehörigkeit und Erinnerung, von persönlichem Besitz, sozialem Status und staatsbürgerlichen Rechten. Die Geschichten stehen aber auch für das Weiterleben und für das Recht auf Erinnerung, heißt es seitens der beiden Kuratorinnen.
Ausgangspunkt der Ausstellung sowie einer nach der Ausstellungseröffnung stattgefundenen Podiumsdiskussion ist die aktuelle staatliche Flüchtlingspolitik, in der ehemalige Verantwortliche der Republik und der Zivilgesellschaft, sowie Geflüchtete über Flucht und Politik damals und heute berichten und in eindrucksvoller Weise ihre Geschichte in der Öffentlichkeit zum Ausdruck bringen. Das Handeln des Staates in den 1990er Jahren, wo Österreich mehr als 85.000 Schutzsuchenden aus Bosnien und Herzegowina auf unkomplizierte und unbürokratische Weise vorübergehend Schutz bot, weckte Erinnerungen und Gedanken an die große Flüchtlingsbewegung im Sommer 2015.
Den Kern der Ausstellung bildet die oben erwähnte Podiumsdiskussion „De-facto Unterstützung – Zwischen Aufruf zur Hilfe und Forderung nach Einwanderungsstopp“, die die Zweiteilung in Fremdenangst und Hilfsbereitschaft der damaligen österreichischen Gesellschaft darlegen soll. Zudem gaben Zeitzeugen durch Ausstellungsgespräche ihre Erfahrungen wieder.
„Es gibt keine zeithistorische Aufarbeitung dieser Fluchtbewegung nach Österreich außer sozialwissenschaftliche Studien aus den späten 90er Jahren, die sich mit dem Umgang der damaligen Gesellschaft, den Regelungen und Maßnahmen für das Ankommen der Geflüchteten befassten“, so die Historikerin und Kuratorin der Ausstellung Vida Bakondy.
Wie kann die Ausstellung in die aktuelle Flüchtlingsdebatte eingearbeitet werden und inwieweit ist sie Augenöffner für aktuelle Themen in diesem Zusammenhang in der heutigen Zeit? Die Kuratorinnen finden hierauf klare Antworten. Die Kriegsaufarbeitung im Zusammenhang mit der Fluchtbewegung nach Österreich bleibt unterrepräsentiert in vielen Gesellschaftsbereichen. Die Hoffnung ist, die Ausstellung zu vergrößern, sie auch in anderen Bundesländern Österreichs zu zeigen und diese in eine Dauerausstellung in verschiedenen Museen umzuwandeln. Viele Institutionen sind im Kontext dieser Fluchtbewegung entstanden und eine breite Masse der österreichischen Zivilgesellschaft hat den Geflüchteten geholfen, diese Seite wurde auch bis jetzt nicht rezipiert. Des Weiteren fehlt es an Publikationen und an Schulen wird der Jugoslawienkrieg, laut den Aussagen der Kuratorinnen, kaum noch durchgenommen.[1]
Einen – wie ich finde wesentlichen Punkt – rückt die Ausstellung in den Fokus, nämlich, dass Erfahrungen und Erlebnisse der ehemaligen Kriegsflüchtlinge in der Geschichte der Stadt Wien und Österreichs bis heute unterrepräsentiert sind. Nach der erfolgreichen Integration in die österreichische Gesellschaft wurde ihnen kein öffentliches Interesse mehr zuteil. Wie es in der Ausstellung heißt: „sie wurden zu viel geschätzten Kollegen/innen am Arbeitsplatz, doch kaum jemand interessiert(e) sich für ihr Leben vor der Flucht und nach der Ankunft in Wien.“[2]
Die Ausstellung wird zusätzlich von einem Medienspiegel, mit der Überschrift „Ein Emigrant sein heißt, […] nicht von Null anzufangen, sondern von Minus“ begleitet. Diese Aussage stammt von einem Geflüchteten aus Sarajevo.[3] Die Zeitungsberichte, welche in den Jahren 1991 bis 1999 in verschiedenen österreichischen Zeitungen und Zeitschriften zur Situation von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten des ehemaligen Jugoslawiens in Österreich. Die darin behandelten Themen reichen vom Alltag Geflüchteter in der neuen Umgebung, sprich Wien, von den bürokratischen Hürden, welche ihre persönliche und rechtliche Integration deutlich erschwerten, über zivilgesellschaftliche Hilfsinitiativen, bis hin zu staatlicher Rückkehrpolitik. Diese Artikel geben einen Einblick in zeitgenössische politische und mediale Diskurse, sowie in vorherrschende gesellschaftliche Stimmungsbilder. Schaustücke, Wandaufschriften, persönliche Gegenstände, wie eine Briefschachten, Schmuck und Brieftasche die man bei der Flucht bei sich hatte, Dokumente und Fotos bilden neben an die Wand geschriebenen Aussagen der Geflüchteten den Rahmen der Ausstellung und folgen somit einer bewusst gewählten Storyline um „Räume der Erinnerung […]“ zu schaffen.[4]
Ganz besonders kommen durch die Ausstellung die unterschiedlichen Arten von Verlust, die mit dem Flüchtlingsdasein einhergehen zum Vorschein, wie z.B. der Verlust von geliebten Menschen, von Zuhause, von Zugehörigkeit und Erinnerung, von persönlichem Besitz (am Beispiel einer Schachtel voll mit Briefen), sozialem Status und staatsbürgerlichen
(Menschen-)Rechten. Klar gesagt werden kann aber, dass die in der Ausstellung gezeigten Geschichten aber und vor allem auch für Aufstehen, Kampfgeist, Durchsetzungswillen, für das Weiterleben und für das Recht auf Erinnerung stehen!
Autor: Christoph
[1] Interview mit den Kuratorinnen im Zuge der Ausstellungseröffnung v. 15.9.2020. Podcast.
[2] Schautafel, Ausstellung NACH DER FLUCHT, Hauptbibliothek Wien, 2020.
[3] Princip, Sergej: Leben im Wartesaal, ORF Sendereihe Alltagsgeschichten, 14.4.1994.
[4] vgl. Martinz-Turek, Charlotte: Folgenreiche Unterscheidungen. Über storlines im Museum. Martinz-Turek, Charlotte (Hg.): Storyline: Narrationen im Museum. Schnittpunkt. Ausstellungstheorie & Praxis. Wien: Turia + Kant, 2009, S. 24.